Die Revulação dos Cravos – die Nelkenrevolution – wird in Portugal oft auch einfach nur „25. April“ (25 de Abril) genannt. Jeder Portugiese weiß, was damit gemeint ist. Der poetischere Name kommt daher, dass die Blumenfrauen in Lissabon an diesem Tag den aufständischen Soldaten Nelken in die Gewehrläufe steckten. 

Soldaten mit Nelken am Palácio Foz am Praça dos Restauradores (Fotos unten: Luis Correia)

Mit Nelken geschmückte Militärfahrzeuge am 25. April 1974 in der Rua Castillo (beim Parque Eduardo VII.)

Anfang 1974 erschien das Buch „Portugal und die Zukunft“, in dem der Autor, der portugiesische General António de Spínola, unter anderem Kritik am Kolonialkrieg übte. Das war für die gemäßigten Militärs ein Zeichen zum Aufbruch und zum Kampf gegen die alte Herrschaft des Estado Novo. Immerhin war Spínola der zweite Mann an der Spitze der Militärhierarchie. 

Die „Bewegung der Streitkräfte“ ( Movimento das Forças Armadas – kurz MFA) war entstanden aus einem Zusammenschluss junger Offiziere, die im Krieg in den Kolonien eingesetzt wurden waren. Ihrer Hauptforderung nach dem sofortigen Ende dieses „schmutziges Krieges“ wollten sie nun endlich mit Nachdruck durchsetzen. Als Spínola und der Generalstabschef im März 1974 ihrer Ämter enthoben wurden und es außerdem Gerüchte über geplante Verhaftungen gab, war der Putsch nicht mehr aufzuhalten. 

Kurz vor 23 Uhr am Mittwoch, den 24. April 1974, wurde im portugiesischen Rundfunk ein Liebeslied gespielt: „Nach dem Abschied“ (E Depois do adeus) – das Signal für die Truppen, sich in Bewegung zu setzen. Unblutig gelang es, den katholischen Sender Rádio Renascença in Besitz zu nehmen. Von dort wurde um 0:30 am 25. April das Lied ausgestrahlt, das für das portugiesische Volk das Signal für die Befreiung von der Diktatur geworden ist: Grândola vila morena“ („Grândola braune Stadt“). 

Das Startsignal für die portugiesischen Truppen: das Lied E depois do Adeus wurde in der besetzen staatlichen Rundfunkstation gespielt

Grândola vila Morena - das Lied der unblutigen Nelken-Revolution. Heute noch erklingt es überall in Portugal kurz nach Mitternacht an jedem 25. April.

Das Lied war während der Diktatur verboten, wegen der Zeile O povo é quem mais ordena (zu deutsch: „Das Volk regiert“). Zunächst wurde die erste Strophe lediglich verlesen, erst danach erklang das Lied selbst, gesungen von Komponisten und Autor: dem antifaschistischen Liedermacher Zeca Afonso. Noch wusste niemand wusste von der Bevölkerung genau, was eigentlich geschehen war. Man wusste nur: Es war ein Signal. 


Zeca Afonso (1929-1987)

18 Stunden später gab es die Herrscher des Estado Novo nicht mehr – die älteste Diktatur Europas war durch junge Offiziere meist unterer Dienstgrade gestürzt worden. Sie hatten Ministerien, die Sender von Rundfunk und Fernsehen und den Flughafen Lissabons besetzt. Die Regierungstruppen, die das Regime zu Hilfe gerufen hatte, liefen praktisch alle zur „Bewegung der Streitkräfte“ über.

Caetano zog sich zunächst in die Kaserne der GNR (Guarda Nacional Republicana), der bewaffneten Polizei, zurück. Bis zum Abend wurde das Gebäude belagert, erst dann übergab Caetano die Regierung an General Spínola.

Es kam bei der Nelkenrevolution zu lediglich vier Toten: Als man die Gebäude der PIDE, der Geheimpolizei, zu erobern suchte, fielen Schüsse auf die heranstürmenden Menschen. Erst am nächsten Morgen ergaben sich die Beamten der PIDE. Die Bevölkerung benannte die Straße des PIDE-Hauptgebäudes um: Avenida dos Mortos pela PIDE („Straße der Opfer der PIDE“) – bezogen sowohl auf die vier Toten wie auf die zahllosen Opfer in der Zeit der Diktatur.

Am 25. April 1974 selbst – heute noch der „Tag der Freiheit“, Dia do Liberdade, Feiertag in Portugal – standen die Einwohner Lissabon an den Straßen und jubelten den Truppen zu. Die ersten roten Nelken wurden den Soldaten in die Gewehrläufe und an die Uniformen gesteckt. 

Aus dem Exil wieder in Portugal: Álvaro Cunhal, der 11 Jahre von PIDE inhaftiert war, bis ihm 1960 die Flucht gelang. Im Exil lebte er in Moskau und Prag.

Mario Soares bei seiner Ankunft in Lissabon. Den Vortag der Revolution verbrachte er bei Willy Brandt, im Exil lebte er in Frankreich.

Manuel Alegre kam aus dem Exil in Algerien zurück.

Das Monument zur Erinnerung an den 25. April 1974 wurde von João Cutileiro entworden und steht im Parque Eduardo VII. (o.)

Noch vor dem 1. Mai 1974 wurden die Gefängnisse der PIDE geöffnet, viele Oppositionelle und Widerstandskämpfer kehrten aus dem Exil heim nach Portugal: der Sozialist und spätere Ministerpräsident Mário Soares aus Paris, der Kommunist Álvaro Cunhal, der mehr als ein Dutzend Jahre in den Kerkern der PIDE verbracht hatte, der Dichter Manuel Alegre aus Algerien, der Wissenschaftler Rui Luís Gomes aus Brasilien und unzählige andere.

Der 1. Mai selbst war dann eine Demonstration der Freiheit:
Zusammen mit Soldaten zog die Bevölkerung ins Lissabonner Sportstadion, das seither Estádio 1º de Maio heißt. Mehr als 100.000 Portugiesen feierten dort die Befreiung von der Diktatur, gemeinsam mit den politschen Führern Soares und Cunhal, die sich für eine Regierung von allen Parteien aussprachen.

Das ist das Besondere an der Nelkenrevolution: Sie begann als Militärputsch und endete – mit der Legimitation durch die Bevölkerung – in einem modernen, demokratischen Staat.

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