Die Nelkenrevolution
2024 feiert Portugal den 50. Jahrestag der "Nelkenrevolution". Ein tiefgreifendes Ereignis, das die Portugiesen geprägt hat, das nicht nur am Dia de Liberdade, sondern das ganze Jahr 2024 hindurch auf vielfältige Weise gefeiert wird.
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- Hauptkategorie: Geschichte
Dieses Jahr begeht Portugal das 50. Jubiläum der Nelkenrevolution. Der friedliche Umsturz befreite das Land von der Diktatur und markiert gleichzeitig das Ende der letzten westlichen Kolonialmacht. Veranstaltungen dazu gibt es landesweit bereits zahlreich und bis 2026 kommen weitere dazu.
Die "Journalistin, Übersetzerin, Lektorin, Dozentin, Kulturvermittlerin" - wie sie sich selbst nennt - Henrietta Bilawer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit portugiesischer Kultur, Landeskunde und Historie; seit Ende Januar 2024 hat sie etliche "(Vor)Geschichten hinter der Geschichte" veröffentlicht.
Wir sagen Danke, dass wir diese Storys auf unserer Seite "Leben in Portugal" veröffentlichen dürfen.
Teil 2: Hermínio da Palma Inácio - das Leben eines Revolutionärs
Seine Vita wäre Stoff für einen Actionthriller: Hermínio da Palma Inácio wurde am 29. Januar 1922 in Ferragudo als Sohn eines Eisenbahnarbeiters geboren, wurde er später zum “arglos-unbefangenen Revolutionär”, so die Dichterin Natália Correia. Der Estado Novo stufte ihn als Terroristen ein; die britische Sunday Times betitelte ihn als “Europas meistgesuchten Mann”.
Weggefährten beschreiben Hermínio da Palma Inácio als “sehr feinfühligen und umgänglichen Menschen” und als “aktiven, phantasievollen, mutigen und selbstlosen, sogar romantischen Revolutionär”, der für seine Ideale und Anliegen mit allen Mitteln kämpfte. Bekannt wurde Palma Inácio als Kopf der ersten Flugzeugentführung im Lande, bei der eine Maschine der portugiesischen Fluggesellschaft TAP gekapert und dazu benutzt wurde, Flugblätter mit dem Aufruf zum Volksaufstand gegen die Diktatur abzuwerfen. Seine politischen Aktionen gingen noch weit darüber hinaus und die Geheimpolizei PIDE setzte ein Kopfgeld von 50.000 Escudos für Hinweise auf Hermínio Inácios Aufenthaltsort aus. Doch der Reihe nach.
Nach dem Abschluss der Escola Industrial in Silves (eine berufsbildende Realschule) meldete Hermínio Inácio sich im Alter von achtzehn Jahren zur Luftwaffe und wurde auf Portugals ersten Luftwaffenstützpunkt Granja do Marquês bei Sintra versetzt. Dort absolvierte er die Ausbildung zum Mechaniker und kam in den Rang eines Unteroffiziers. Zudem erwarb er eine private Pilotenlizenz. Während seines Militärdienstes lernte er einige Offiziere kennen, die wie er selbst dem Salazar-Regime ablehnend gegenüberstanden.
Hermínio Inácios begann den aktiven Kampf gegen das Regime, indem er sich am 10. April 1947 einem Putsch anschloss, der von Militärs initiiert war und von Zivilisten aktiv unterstützt wurde. Zu Letzteren gehörte unter anderem João Soares, der Vater des späteren Staats- und Regierungschefs Mário Soares. Eine der Aktionen der Gruppe bestand darin, die Ressourcen des Luftwaffenstützpunkts Granja lahm zu legen. "Da ich in Granja do Marquês Mechaniker war, wurde ich dazu eingesetzt, einige Militärflugzeuge zu sabotieren", berichtete Palma Inácio im Jahr 2000 in einem Interview. Gemeinsam mit einem anderen Mechaniker machte er sich daran, die Steuerkabel mehrerer Flieger zu durchtrennen. Doch der Plan misslang und wurde abgebrochen. Die Polizei hatte von den Sabotageplänen erfahren und leitete eine Welle von Verhaftungen ein.
Das Polizeifoto von Hermínio da Palma Ináciomit den Daten zweier Verhaftungen
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Dieses Jahr begeht Portugal das 50. Jubiläum der Nelkenrevolution. Der friedliche Umsturz befreite das Land von der Diktatur und markiert gleichzeitig das Ende der letzten westlichen Kolonialmacht. Veranstaltungen dazu gibt es landesweit bereits zahlreich und bis 2026 kommen weitere dazu.
Die "Journalistin, Übersetzerin, Lektorin, Dozentin, Kulturvermittlerin" - wie sie sich selbst nennt - Henrietta Bilawer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit portugiesischer Kultur, Landeskunde und Historie; seit Ende Januar 2024 hat sie etliche "(Vor)Geschichten hinter der Geschichte" veröffentlicht.
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Teil 3: Kuriosiäten aus dem Alltagsleben
Die Diktatur des Estado Novo umfasste nicht "nur" die Politik, sondern reichte weit hinein ins Alltagsleben und schränkte damit die persönliche Entfaltung eines jede Bürgers ein.
- Auch wenn das Land eigene gute Weine besaß – ein Vergleich dieser Tropfen mit den Erzeugnissen der Winzer aus anderen Ländern war nicht möglich, denn der heimische Markt war für ausländische Weine gesperrt. Auch andere Getränke unterlagen dem Importverbot, etwa Coca-Cola, da es mit Kokain und dem verpönten ‘American Way of Life’ assoziiert wurde.
- Barfußlaufen war ein Zeichen extremer Armut. Nach offizieller Lesart gab es solche Armut jedoch nicht. Und deswegen konnte jeder bestraft werden, wer sich barfuß auf der Straße bewegte und seine soziale Situation damit nicht verbarg.
Anmerkung am Rande: Noch in den 1990er Jahren erklärten Freunde mir, dass Touristen, die in den Badeorten ohne Schuhe durch die Straßen liefen, von älteren Portugiesen sehr ablehnend betrachtet wurden. Wer Barfüßigkeit aus der Zeit des Estado Novo kannte, sah Touristen mit nackten Füßen als Provokation an oder als ein Sich-Lustig-Machen wohlhabender Urlauber über Armut. - Rauchen Sie? Haben Sie mal Feuer? Im Estado Novo musste man, um ein Feuerzeug benutzen zu dürfen, eine Lizenz haben. Damit sollte die Streichholz-Produktion in Portugal geschützt werden. Die Erlaubnis zur Benutzung eines Feuerscheins glich beinahe einem Waffenschein.
Eine Lizenz zum Mitführen eines Feuerzeugs für das Jahr 1953. Der mit Name und Adresse des Antragstellers versehene Erlaubnisschein galt für ein Jahr und wurde vom Finanzamt ausgestellt. Dafür waren 50 Escudos Gebühr und 40 Escudos Stempelsteuer zu entrichten
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Teil 4: Ein unerwarteter und wertvoller Dokumentenfund
Liegt historisches Geschehen weit zurück, erschwert das Fehlen oder die ungewisse Herkunft von Schriftstücken manchmal die Klärung von Details. Das kann auch bei noch nicht so weit in der Vergangenheit liegenden Ereignissen passieren, wie das Blatt Papier belegt, dass im Jahr 2019 in privaten Unterlagen entdeckt wurde; ein Blatt Papier, auf dem Wege, Entfernungen und 30 Armee-Einheiten farblich markiert und detailliert beschrieben sind, sowie 60 Namen von Militärs, die verantwortlich waren für den Verlauf des 25. April 1974, an dem die Diktatur gestürzt wurde.
Die Karte offenbart die Vorbereitung auf jenen Tag, und ein Blick auf die Linienführung zeigt im Nachhinein, dass das Vorgehen exakt so durchgeführt wurde, wie zuvor geplant. Jedoch weiß niemand, wer diese Karte gezeichnet hat. Noch lebende Protagonisten erklärten, sie hätten die Aufzeichnung noch nie gesehen.
Vor acht Jahren ist die Zeichnung per Zufall aufgetaucht, als die Witwe von António Marques Júnior (er war 1974 das jüngste Mitglied des Revolutionsrates) in ihrem Haus in Lissabon nach einem Buch von Fidel Castro suchte, in das der kubanische Revolutionsführer eine umfangreiche Widmung geschrieben hatte. Luísa Marques Júnior hatte das Buch im Sommer 1975 erhalten, als ihr Mann und andere Generäle der Nelkenrevolution eine Reise nach Kuba unternahmen.
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Teil 5: Die Situation der Frauen vor und nach dem 25. April 1974
Frauen gehörten in den 48 Jahren der Diktatur vom Mai 1926 bis zum 25.April 1974 zu den nahezu Rechtlosen im Lande. Ihr Leben war noch mehr als das der Männer durch die Prägung des klerikal orientierten Ständestaates bestimmt. Der Tag der Nelkenrevolution brachte das Gefühl der Freiheit auf die Straßen und änderte fortan das gesellschaftliche Bild der Menschen. In den folgenden Monaten gab es zahlreiche Demonstrationen, um die neu gewonnene Freiheit auszuleben und dabei auch zu manifestieren, welche Aufgaben die Lenker der neuen Ordnung erfüllen sollten.
Männer und Frauen kamen gemeinsam zu diesen Kundgebungen, um ein Land zu idealisieren, in dem ihre Meinung zählen würde. Einige Frauen betrachteten das Geschehen und stellten sich im Rausch des neuen Gesellschaftsgefühls die Frage: „Jetzt, wo wir die Freiheit haben, was machen wir damit?“, erinnert sich die inzwischen 91-jährige Journalistin und Schriftstellerin Maria Antónia Palla und zitiert ihre französische Kollegin Bénoîte Groult: „Frauen sind die Vergessenen aller Revolutionen“.
Frauen waren gesellschaftlich äußerst benachteiligt und hofften auf Freiheit; schließlich hatten viele Frauen zur Zeit der Nelkenrevolution noch immer kein Wahlrecht: Nur jene Frauen konnten es wahrnehmen, die „älter als 21 Jahre sind, lesen und schreiben können sowie Familienoberhäupter sind“. Das heißt: Wollte ein Frau wählen, musste sie minderjährige Kinder haben und verwitwet sein; Scheidungen waren schließlich unmöglich. Und selbst wenn eine Frau die formalen Bedingungen zur Ausübung des Wahlrechts erfüllte, durfte sie nur für Abstimmungen zu Gemeinderäten und mit einer Bescheinigung über die eigene moralische Eignung an die Urne gehen.
Erst im Jahr 1968 wurde das Wahlrecht für die Nationalversammlung per Gesetz auf alle Bürger ausgedehnt, die lesen und schreiben konnten, unabhängig davon, ob sie männlich oder weiblich waren. In einem Land, in dem der Analphabetismus zu jener Zeit bei über 30 Prozent lag, trug dies nicht wesentlich zur Erhöhung der Wahlbeteiligung bei.
Ein Poster aus der Zeit des Estado Novo, das wahlberechtigte (also privilegiert berechtigte) Frauen aufruft, für den Diktator António Salazar zu stimmen. Der Tenor des Textes mahnt jeweils nach der Aufzählung der Annehmlichkeiten des Frauenlebens: „Das verdankst du Salazar!
- 50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 6
- 50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 7
- 50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 8
- 50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 9
- 50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 10