Die Nelkenrevolution
2024 feiert Portugal den 50. Jahrestag der "Nelkenrevolution". Ein tiefgreifendes Ereignis, das die Portugiesen geprägt hat, das nicht nur am Dia de Liberdade, sondern das ganze Jahr 2024 hindurch auf vielfältige Weise gefeiert wird.

- Details
- Hauptkategorie: Geschichte
Teil 10: Die „Generalprobe“ für die Nelkenrevolution
Alles begann am 15. März 1974, als gegen 21 Uhr die Ehefrau eines der Kommandanten vor der Kaserne in Caldas da Rainha auftauchte und darum bat, ihrem Mann einen Brief zu überreichen. Wie sich später herausstellte, enthielt dieser den Aufruf, dass sich das 5. Infanterieregiment (5.IR) nach Süden in Richtung Lissabon aufmachen sollte, um dort den Flughafen zu besetzen. Nördlich gelegene Truppen seien bereits auf dem Weg. Schnell fällte man die Entscheidung, sich den Rebellen anzuschließen. Die diensthabenden Offiziere wurden überwältigt und alle, die als regimetreu galten, zusammen in einen Raum gepfercht. In der ganzen Kaserne breitete sich eine euphorische Stimmung aus. Nicht jeder war von dem Putsch begeistert, doch niemand hinderte die Kameraden an den Vorbereitungen.
In den frühen Morgenstunden des 16. März 1974 verließ die Militärkolonne des 5.IR Caldas da Rainha mit insgesamt 24 Fahrzeugen die Kaserne in Richtung Lissabon. In der Nähe von Sacavém stellten die Soldaten fest, dass außer ihnen keine weiteren Militäreinheiten zu sehen waren. Kurz darauf kamen ihnen zwei regimetreue Offiziere entgegen, die den Putschversuch für gescheitert erklärten und dem Regiment den Befehl erteilten, sofort umzukehren.
Zurück in Caldas da Rainha rückten die Aufsässigen in die Kaserne ein und wurden dort von regimetreuen Truppen aus Leiria und Tomar, der Kavallerieschule aus Santarém (diese sollten am 25. April noch von sich reden machen), der GNR und natürlich Anhängern des Geheimdienstes PIDE belagert: Niemand konnte entfliehen. Man stellte den Eingeschlossenen Wasser, Strom und Telefon ab, in der Hoffnung, dass sich das Regiment bald ergeben würde. Ein falsche Annahme, denn die aufständischen Soldaten hofften, andere Kasernen würden sich ebenfalls gegen das Regime auflehnen oder die ausländische Presse würde sie unterstützen. Stunden vergingen und diese Hoffnung schwand. Nachdem ihnen zugesagt worden war, dass keine Schüsse fallen würden, ergaben sich die Soldaten gegen Abend.
Die Anführer wurden nach Lissabon gebracht und ins Gefängnis von Trafaria gesteckt. Um die untergebenen Soldaten vor Konsequenzen zu bewahren, beteuerten sie immer wieder, dass ihre Kameraden lediglich Befehle ausgeführt hätten. Vergebens: Man beschuldigte alle der Mittäterschaft und verteilte sie auf verschiedene regimetreue Militärlager, in denen ihre rebellischen Handlungen „korrigiert“ werden sollten.

- Details
- Hauptkategorie: Geschichte
Dieses Jahr begeht Portugal das 50. Jubiläum der Nelkenrevolution. Der friedliche Umsturz befreite das Land von der Diktatur und markiert gleichzeitig das Ende der letzten westlichen Kolonialmacht. Veranstaltungen dazu gibt es landesweit bereits zahlreich und bis 2026 kommen weitere dazu.
Die "Journalistin, Übersetzerin, Lektorin, Dozentin, Kulturvermittlerin" - wie sie sich selbst nennt - Henrietta Bilawer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit portugiesischer Kultur, Landeskunde und Historie; seit Ende Januar 2024 hat sie etliche "(Vor)Geschichten hinter der Geschichte" veröffentlicht.
Wir sagen Danke, dass wir diese Storys auf unserer Seite "Leben in Portugal" veröffentlichen dürfen.
Teil 11: Das reale Leben in der Diktatur
Gelegentlich hört man in Portugal Sätze, die wie nostalgische Sehnsucht nach der Zeit vor der Nelkenrevolution anmuten. Diese Äußerungen kommen entweder von Personen, die diese Epoche nicht aus eigenem Erleben kennen oder Nutznießer des Systems Estado Novo waren. Wie sah die Gesellschaft vor dem 25.April 1974 tatsächlich aus? Wie war es, während der Diktatur in Portugal zu leben? (Alle Fotos aus dem Arquivo von Artur Pastor - entstanden in den 1940-60ern, auf dem Land und in den Städten)
Dieses System währte seit dem Militärputsch 1926, der die ersten demokratischen Gehversuche des Landes nach dem Sturz der Monarchie beendete; der Estado Novo, also der “neue Staat” existierte formal seit dem Beginn der 1930er Jahre: In einer Rede im Mai 1930 benutzte der spätere Machthaber António de Oliveira Salazar, der damals noch Finanzminister war, den Begriff Estado Novo erstmals. Manchen gilt Salazars Ernennung zum Minsterpräsidenten am 5. Juli 1932 als offizieller Beginn des Estado Novo, andere datieren den Beginn auf den April 1933, als die neue Verfassung in Kraft trat.
Im politischen Alltag sind zu jener Zeit noch die Nachwirkungen der republikanischen politischen Kämpfe in den letzten Tagen der Republik spürbar, was jedoch aufgrund der Überwachung des öffentlichen Lebens durch die Geheimpolizei PVDE (Polícia de Vigilância e Defesa do Estado bis 1945, ab dann PIDE - Polícia Internacional e de Defesa do Estado) öffentlich kaum noch möglich war – die Geheimpolizei war im Übrigen nach Vorbildern aus dem faschistischen Italien und dem Dritten Reich gebildet worden.
Foto links: Viehmarkt Foto rechts: Landarbeiter im Alentejo. Fotos Arquivo Artur Pastor
Portugal war ein armes Land, in dem etwa 50 % der Bevölkerung von der (unterentwickelten) Landwirtschaft lebten.

- Details
- Hauptkategorie: Geschichte
Dieses Jahr begeht Portugal das 50. Jubiläum der Nelkenrevolution. Der friedliche Umsturz befreite das Land von der Diktatur und markiert gleichzeitig das Ende der letzten westlichen Kolonialmacht. Veranstaltungen dazu gibt es landesweit bereits zahlreich und bis 2026 kommen weitere dazu.
Die "Journalistin, Übersetzerin, Lektorin, Dozentin, Kulturvermittlerin" - wie sie sich selbst nennt - Henrietta Bilawer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit portugiesischer Kultur, Landeskunde und Historie; seit Ende Januar 2024 hat sie etliche "(Vor)Geschichten hinter der Geschichte" veröffentlicht.
Wir sagen Danke, dass wir diese Storys auf unserer Seite "Leben in Portugal" veröffentlichen dürfen.
Teil 12: Unterdrückung durch staatliche Zensur
Literatur, Publizistik, jede Art der Kommunikation trägt zur Formung des Denkens bei. Das gilt ebenso, wenn Zensur herrscht, die in Veröffentlichungen eingreift, sie manipuliert oder verbietet. Behördliche Überwachung und Verbote gehörten im Estado Novo zum Alltag, was in einem vier Jahrzehnte währenden Regime schließlich auch zu vorauseilender Selbstzensur führte und ebenso intellektuellen Schaden wie auch ökonomischen anrichtete.
Die Zensur war bereits 1926 mit der Militärdiktatur eingeführt worden; im Estado Novo (1933-1974) wurde die strenge Kontrolle und Unterdrückung von Schriftstellern, Verlegern und Buchhändlern ausgeweitet. Im Jahr 1934 begann die Zensurbehörde in Zusammenarbeit mit der politischen Polizei, die Bücher in Buchhandlungen, Verlagen und bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmte, eine systematische Beschneidung des gedruckten Wortes, aber auch der bildenden Kunst, des Kinos, des Theaters sowie aller Informations-Bereiche, einschließlich Zeitungen, Radio und zeitgleich mit dem Aufkommen des Fernsehens auch dieses Mediums.
Die Zensur verteilte Zensuren: "unmoralisch, pornografisch, kommunistisch, irreligiös, subversiv, böse, asozial, verdummend, zersetzend, anarchistisch, revolutionär". Bücher, die in diese Kategorien eingeordnet wurden, hatten kaum eine Chance, einen Leser zu erreichen.
Manches wurde zensiert, weil es "zu realistisch" war
Schriften, die diesen Etiketten nicht zuzuordnen waren, konnten als "zu realistisch" abgestraft werden, was insbesondere die Strömung der neorealistischen Literatur der 1940er und 1950er Jahre traf. Schaut man auf die Praxis der Literaturzensur, so waren die Kontrolleure auf erstaunliche Weise flexibel mit ihrem Bann: Viele der eigentlich zensierten Bücher wurden dennoch genehmigt, und zwar "mit Kürzungen" oder mit dem Vermerk "gesichtet", was nichts anderes als eine Warnung war, das der betroffene Autor gerade noch einmal dem Verbot entkommen war. Andere wurden zunächst verboten, um später doch genehmigt zu werden. Selbst bei genehmigten und bereits veröffentlichten Büchern konnte der Zensor später eine erneute Prüfung veranlassen und das Buch nachträglich verbieten. In einigen Fällen wurde die Verbreitung ausländischer Bücher in der Originalausgabe genehmigt, während ihre Übersetzung verboten war. Und es gab Werke, die genehmigt wurden, solange sie "nicht auf dem Markt" durch Werbung oder Erwähnung in der Presse bekannt gemacht wurden.

- Details
- Hauptkategorie: Geschichte
Dieses Jahr begeht Portugal das 50. Jubiläum der Nelkenrevolution. Der friedliche Umsturz befreite das Land von der Diktatur und markiert gleichzeitig das Ende der letzten westlichen Kolonialmacht. Veranstaltungen dazu gibt es landesweit bereits zahlreich und bis 2026 kommen weitere dazu.
Die "Journalistin, Übersetzerin, Lektorin, Dozentin, Kulturvermittlerin" - wie sie sich selbst nennt - Henrietta Bilawer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit portugiesischer Kultur, Landeskunde und Historie; seit Ende Januar 2024 hat sie etliche "(Vor)Geschichten hinter der Geschichte" veröffentlicht.
Wir sagen Danke, dass wir diese Storys auf unserer Seite "Leben in Portugal" veröffentlichen dürfen.
Teil 13: Zwei Lieder als Startsignal für den Aufstand gegen die Diktatur
Kaum bekannt, aber dennoch wichtig:
Es gab zwei Lieder, die der "Startschuss" für die Revolution am 25. April 1974 waren.
Bereits um 22:55 Uhr am 24. April 1974 wurde das Lied E Depois do Adeus vom Sender Emissores Associados de Lisboa ausgestrahlt - und damit der Befehl gegeben, dass sich die Truppen bereithalten sollten.
Das tatsächliche Signal zum Verlassen der Kaserne kam um 00:20 Uhr vom mittlerweile von den Soldaten der MFA (Movimento das Forças Armadas) besetzten Rádio Renascença: Zunächst wurden die Strophen des Lieds Grândola, Vila Morena von Zeca Afonso vom Radiosprecher verlesen, danach wurde das Lied, gesungen von Zeca Afonso, zweimal in voller Länge abgespielt. Grândola, vila morena war als Lied selbst zwar nicht verboten, wohl aber hatte der Sänger Zeca Afonso Auftrittsverbot in Portugal. Für die Zuhörer am heimischen Radio war dies in jedem Fall ein deutliches Zeichen, dass "etwas im Gange ist": Die Zeitung República hatte schon am Vorabend für Eingeweihte den kleinen Hinweis gebracht, das Musikprogramm der Nacht sei besonders lohnend. Für die Soldaten war das Lied Zeca Afonsos das vereinbarte Signal für den Beginn des Aufstands gegen die Diktatur.
E Depois do adeus war Teilnehmer am RTP-Songfestival und konnte gefahrlos gesendet werden, anders als Grândola, Vila Morena, dessen Schöpfer in der Diktatur nicht auftreten durfte. Ursprünglich war ein anderes Lied von Zeca Afonso geplant gewesen, nämlich Venham mais cinco. Erst am Montag vor dem 25. April 1974 stellte man fest, dass dieses Lied tatsächlich verboten und außerdem im Archiv von Radio Renascença keine Schallplatte mit diesem Lied vorhanden war.
Die immerwährende Hymne des Aufstands gegen die Diktatur
Beide Lieder sind bei den Portugiesen unvergessen. Aber Zeca Afonsos Kampflied Grândola Vila Morena wurde zur Hymne nicht nur der Nelkenrevolution. Auch in anderen Ländern: Im Februar 2013 wurde das Lied in Madrid auf dem Platz Puerta del Sol gesungen. In Portugal erklang es immer wieder als Protest gegen die Regierung: etwa bei einer Rede des damaligen portugiesischen Ministerpräsidenten Pedro Passos Coelho im portugiesischen Parlament im Februar 2013 gestört - als Demonstration gegen die Sparpolitik von Regierung und Troika. Oder Anfang März 2013, als Hunderttausende das Lied auf den landesweiten Protestaktionen gegen die Sparpolitik sangen.